Explosiver Überdruss

17,03,29

 

Explosiver Überdruss

 

Es gibt ja die Ansicht, dass der 1. Weltkrieg aus Überdruss an der allgemeinen Lebensrealität im damaligen Europa ausgebrochen ist. Ich vermute mal, dass es der Überdruss an der Klassen- und Militär-Gesellschaft war, die in Kontrast stand zu den übrigen Fortschritten in Technik, Wissenschaft, Philosophie und Kunst.

Nächste Vermutung: Der zweite Weltkrieg ist ausgebrochen aus Überdruss an der autoritären Lebensrealität in Wirtschaft und Gesellschaft, also vor allem in Erziehung, Militarismus und Fabrikdespotie. Bei gleichzeitigen Entwicklungsschüben in Richtung Demokratie, Pazifismus, Gleichberechtigung und humaner Erziehung.

Die Pointe dieser ‚Ausbrüche‘ wäre dann, dass sie gerade durch die immanenten offiziellen Kräfte hervorgerufen und ins Extreme getrieben werden und dadurch zur gesellschaftlichen Explosion führen. Außerdem ist eine merkwürdige Opferbereitschaft des Volkes zu verzeichnen: Freiwilligenmeldungen allenthalben (als Soldaten und Krankenschwestern z.B.)

Vielleicht sollte einem solche massenhafte Opferbereitschaft vor zukünftigem Unheil vorwarnen! z.B. die großen Scharen von freiwilligen Helfern im Gefolge der ‚Flüchtlingskrise‘ seit 2014. Sie sind womöglich Indikatoren eines offiziell uneingestandenen Überdrusses an der gegebenen Lebensrealität.

Worin könnte dieser neueste Überdruss bestehen? Ich denke, es liegt an den tausenden bürokratischen Verordnungen und Knebelungen, die Tag für Tag anschwellen. Die Parlamente fühlen sich offenbar dadurch besonders existenzberechtigt, dass sie ständig neue bürokratische Verordnungen produzieren. Beispielsweise in Kindertagesstätten gibt es mittlerweile hundertelei mehr oder minder idiotische Verordnungen – etwa seitens der Feuerwehr, der Bauvorschriften, Gesundheitsbehörden, der staatlichen Aufsicht und was nicht alles. - Ein kleines lächerliches Beispiel am Rande: In die Gießener Stadtbusse sollten in Zukunft alle nur noch von vorne einsteigen. Was aber sang- und klanglos nach einiger Zeit wieder fallengelassen wurde, es war einfach nicht praktikabel. (Hier wird die depperte Haltung unserer großspurigen, gutbezahlten ‘Entscheider’ sehr schön deutlich. Jeder klar denkende Mensch hätte das natürlich völlig problemlos ohne Weiteres von vornherein voraussehen können!)

Im privaten Bereich schwillt das auch immer mehr an: z.B. Hausbesitzer sollen die Straßenerneuerung bezahlen, während alle anderen Straßenbenutzer einfach so davon kommen; und was nicht alles. Auch das Mietrecht wird immer kurioser und komplexer. Oder: wenn Vereinsmitglieder das Dach ihres Vereinshauses reparieren wollen, müssen sie (seit Neuestem) vorschriftsmäßig angeleint sein (jahrhundertelang nicht). - Oder hier paradigmatisch die unglaubliche Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit einer der vielen netten kleinen Neuerungen:

<Um das unkontrollierte Befahren der Feld- und Waldwege ansatzweise zu unterbinden, hat die Jagdgenossenschaft bei der Gemeinde die Sperrung einiger Feldwege beantragt und auch genehmigt bekommen. Die Verbotsschilder wurden aufgestellt. Man werde sehr genau beobachten, ob sich die Kraftfahrer an die neuen Regelungen halten. Für Unbelehrbare werde es sicher Anzeigen geben.> (Gießener Anzeiger, 25.03.17, S.32 unten)

Bei solchem Regulierungswahn ist gerade auch die EU nicht faul. So habe ich kürzlich durch Zufall festgestellt, dass „Erdbeermarmelade“ ein böses Wort ist, da die EU offiziell festgelegt hat, dass nur Zitrusfrüchte für ‚Marmelade‘ verwendet werden dürfen! (Man kann es nicht fassen! so viel Schwachsinn auf einem hochbezahlten Haufen!). Eine andere EU-Bestimmung ist der unverschämte Eingriff in mein TrekStor-Walkman-Gerät, das ab einer bestimmten Version eine gewisse Lautstärke nicht überschreiten darf.

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Da dieser Regulierungswahn immer weiter und weiter geht, ist es mir selbst schon passiert, dass ich gedacht habe: „Gottseidank haben die Politik-Trottel jetzt die Millionen von Türken und Araber reingeholt, die werden sich auf die Dauer einen Dreck um die ganzen idiotischen Verordnungen hier kümmern und übernehmen irgendwann den Laden sowieso mehr und mehr.“

Irgendwie weiß man sich geistig nicht anders zu behelfen, als auf eine Katastrophe à la 45 zu warten, damit es endlich mal wieder freie Luft zum Atmen gibt. Und während das bei mir bewusst und kritisch, sozusagen kontrolliert und friedlich abläuft, läuft der Überdruss  bei vielen anderen Volksmenschen (nach meiner Theorie) unbewusst und unkritisch als offiziöse Vorbereitung der Explosion ab: nämlich als ‘Willkommenskultur’.

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Also mit anderen Worten: Wir mögen uns ungeheuer viel einbilden auf unsere politische und unsere Meinungsfreiheit, was ja auch ok ist. Aber: Die ‚Alltagsfreiheit‘ ist bei uns in einem miserablen Zustand. Da sind Länder, die in den offiziellen dt. Augen rechtsstaatlich mangelhaft erscheinen, wesentlich freier. Und das ist es letztlich auch, was Deutschland so spießig macht: dieses irrationale totalitäre Regulierungsbedürfnis. - Und wer weiß, zu welchem neuen Verhängnis uns dasselbe in Zukunft führen wird!