2013

Politisch-Philosophische Reflexionen zwischendurch:

 

 

 

Der Harvard-Professor für Politische Philosophie, Michael Sandel, über die 'Marktgesellschaft'.

 

Das folgende ist ein Zitat aus einem Interview im HR-2 mit Alf Mentzer. Er leitet zu der folgenden Thematik des Interviews folgendermaßen ein:

 

<Nun ist es natürlich immer noch so, nicht nur in USA sondern auch in Europa, in einigen Staaten mehr als in anderen, daß der Glaube an die Logik des Marktes immer noch sehr hoch gehalten wird, daß die Ultima Ratio zu sein scheint, daß die Marktlogik das höchste Prinzip an Rationalität zu sein scheint. Wie glauben Sie kann man diesen Glauben an die Logik des Marktes irgendwie umkehren oder zurückbinden an bürgerliche Tugenden?>

 

Die (vom HR-2 übersetzte) Antwort von Michael Sandel:

 

<Zuerst einmal müssen wir anerkennen, daß sich während der letzten 30 Jahre etwas geändert hat. Wir haben uns, ohne daß wir das groß bemerkt hätten, von einer Marktwirtschaft zu einer Marktgesellschaft entwickelt. Der Unterschied besteht in Folgendem: Eine Marktwirtschaft ist ein Werkzeug, ein wertvolles und effektives Werkzeug, um Produktivität zu organisieren. Aber eine Marktgesellschaft ist ein Ort, an dem alles zum Verkauf steht, eine Lebensweise, in der Marktwerte alle Lebensbereiche dominieren, auch diejenigen, die außerhalb des materiellen Bereichs liegen: persönliche Beziehungen, das Familienleben, Gesundheit, Bildung, Recht, politische Kampagnen, das gesamte bürgerliche Leben. In den zurückliegenden 30 Jahren waren wir fest im Griff eines Markt-Triumphalismus. Und das müssen wir erst  einmal anerkennen. Wir müssen ganz offen fragen, und zwar in öffentlichen Debatten, wo die Märkte dem Gemeinwohl dienen, und wo sie nichts zu suchen haben. Wo verdrängen sie andere Werte, die uns am Herzen liegen sollten. Debatten darüber, wie wir bestimmte Güter bewerten, führen zu heftigen Kontroversen und Differenzen, weil sie Fragen des guten und richtigen Lebens, weil sie moralische und spirituelle Fragen berühren. Aber, wie wir vorhin schon diskutiert haben, ich glaube es ist ein Fehler, vor solchen Debatten zurück zu schrecken. Und zwar deshalb, weil wir ohne die Diskussion dieser Fragen niemals eine ernsthafte öffentliche Debatte über die moralischen Grenzen des Marktes haben werden. Und ich glaube, das ist die große Debatte, die in der gegenwärtigen Politik fehlt. Wo dienen die Märkte dem Gemeinwohl und wo haben sie eine erodierende Wirkung, wo verdrängen sie Werte, die uns wichtig sein sollten?>

 

Das Interview wurde vom HR-2 Kultur „Doppelkopf“ am 11.06.2013 ausgestrahlt. Gastgeber am Mikrofon war Alf Mentzer: Am Tisch mit Michael J. Sandel, "Gerechtigkeitsphilosoph"