Spießer-Tran

 

27.02.08

 

Spießertran

 

Wir waren jetzt eine Woche in der Türkei in einem großen Mammut-Hotelkomplex am Meer zwischen Manavgat und Alanya (Incekum-Beach-Resort). Diese Pauschalreise ergab sich aufgrund eines Geschenks von ‚Payback’ (einer Punktesammelfirma: wenn man bei gewissen Läden einkauft, erhält man Punkte). Es stellte sich heraus, daß alle Teilnehmer dieser Pauschalreise – es waren anscheinend etliche Tausend, die für ca. 100-200 € (bei uns 50 € pro Person Saisonzuschlag, 89 € Abendessenzuschlag, Zugreise zum und vom Flughafen, noch 5,50€ eine türkische Flughafen-Sicherheitsgebühr) zwischen Januar und März in die großen Hotelanlagen dieser Region gepumpt wurden, und immer noch werden – diese als teilweises Geschenk hatten, sei es von Payback, von RTL, Readers Digest oder sonst einer Organisation.

 

Es handelte sich um einen gewissen Pool von Leuten, die offenbar nicht unvermögend, aber auch nicht besonders betucht waren. Etliche davon waren erfahrene und gewiefte Pauschalreisende. Die meisten waren ‚Senioren’ oder im mittleren Alter.

 

Es ergaben sich ein paar interessante Beobachtungen:

 

  • Fast alle Leute waren mehr oder minder deutlich vom Spießertran gezeichnet. Sie hatten meistens eigenartig verzerrte, verkniffene, unansehnliche, sensibilitätsferne und teilweise dumpfe Gesichter. Ziemlich oft waren sie unangenehm dick, steif, plump, nicht wenige mehr oder minder deutlich gehbehindert. Im Umgang mit den Türken, von denen sie in Manavgat, beispielsweise im Basar, angelabert wurden (selten verirrten sich manche in diese exotische, fremde Welt einer authentischen türkischen Stadt), hatte ich oft den Eindruck, daß man die älteren Spießer am besten mit dem Ausdruck „Graue Panzer“ kennzeichnet.
  • Die Spießer ließen sich in ihrer großen Mehrheit von der Reiseveranstaltung protestlos einiges an Unverschämtheiten bieten: das fing damit an, daß sie stundenlang Nachts von 3 bis 6 Uhr im Frankfurter Flughafen vor der Gepäckübergabe Schlange stehen mußten. Die Sitzreihen im Flugzeug waren dermaßen eng aneinandergereiht, daß ein größerer Mensch wie ich (1,88 m) da einfach nicht hineinpaßte. Sodann wurden die Leute telefonisch in ihren Hotelzimmern an zwei Morgenden früh geweckt, um an Extras teilzunehmen, die ihnen im Prospekt als besondere Vergünstigungen verkauft wurden, sich in Wahrheit aber als ‚Kaffeefahrten’ herausstellten. Die Fahrt nach Pamukkale hatte es besonders in sich. Sie mußten in aller Herrgottsfrühe komplett ihr Zimmer räumen und bekamen nach der Rückfahrt am nächsten Tag ein neues. Manchmal sogar in einem anderen Hotel. Außerdem mußten sie 3 x 3 Stunden in der Pampa erst bei Teppichhändlern, dann bei Lederhändlern und schließlich bei Schmuckhändlern zubringen, die sie nach allen Regeln der Kunst bearbeiteten. Erpresserischerweise mußte man 69 € pro Person extra bezahlen, wenn man diesen absonderlichen Pamukkale-Ausflug nicht mitmachen wollte und stattdessen im Hotel bleiben wollte. - Manche mußten unzumutbare Hotelzimmer hinnehmen, z.B. lernten wir Leute kennen, die durch eine Zwischentür jedes Geräusch (beispielsweise Schnarchen oder Herumlaufen in Stöckelschuhen) von den Nachbarräumen anhören durften. Wenn es wirklich kalt war, beispielsweise gab es am 18. Februar, kurz vor unserer Ankunft, einen Schneetag, half auch die Klimaanlage nichts mehr, wie uns erzählt wurde, da die Fensterfront bzw. Terrassentür zum Balkon nicht dicht ist. Auch konnte man die Klimaanlage nicht anlassen, wenn man das Zimmer verließ – was besonders fatal bei einem ausgekühlten Raum ist, der einige Wintermonate lang nicht beheizt wurde. - Im Übrigen machte jedoch das Hotel auf uns einen ordentlichen und sehr gepflegten Eindruck. Wir hatten ein Zimmer zum Meer nach Südwesten hin und dadurch war für uns das Hotel irgendwie licht und sonnig mit viel Grün, Palmen, Blumen und Gras und außerdem hat das Hotel eine Menge hübscher Außenanlagen. Ein großer Vorteil ist, daß es auf einer kleinen Halbinsel am Meer liegt. Auch daß das Hotel an der Schnellstraße zwischen Antalya und Alanya liegt ist kein Nachteil für uns gewesen, da wir den Verkehr nicht mitbekamen, aber jederzeit nach Manavgat mit dem Dolmus abhauen konnten, um der Spießeratmosphäre des Massentourismus zu entkommen. Das Personal war clever und zuvorkommend. Wir persönlich hatten keinen Grund, uns über das Hotel als solches zu beschweren. Für Leute mit Kindern ist  das Hotel von April bis Mitte Oktober vermutlich ganz o.k.
  • Es gibt riesige Essenssäle, und morgends und abends ein großes Büffet, bei dem man sich frei bedienen kann. An dem Frühstück gab es für uns nix zu meckern. Bezüglich des Abendessens ergab sich für uns folgendes: Am Anfang kam ich mir vor wie im Schlaraffenland, am Schluß merkten wir dann, daß wir die echte, herzhafte türkische Küche und die türkische Atmosphäre vermißten. Und manches Auswahl-Essen war eine ziemlich fade und lieblose Kantinen-Angelegenheit, wie etwa der obligate gebackene Fisch oder z.B. war eine angebliche „Sauce Bolognaise“ lediglich eine geschmacklose dunkelrote Pampe ohne Hackfleisch. Außerdem mußte man die Getränke selber bezahlen, und die Preise dafür waren recht happig (1 Glas Bier 2,50 €, die billigste Flasche Wein 15 €; gläserweise bekam man den Wein nicht). Wenn man bedenkt, daß wir für 7 Abendessen pro Person 90 € extra bezahlen mußten, so hätten wir beide in einem einfachen türkischen Restaurant mit herzhaftem, selbstgewähltem Essen und Trinken jeweils 25-28 € (eigentlich noch einiges mehr, wenn wir unsere Hotel- Bier- und Weinkosten hinzurechneten) zur Verfügung gehabt. Ich denke, da hätten wir speisen und trinken können wie die Krösuse, wenn z.B. ein Adana-Kebab 3-5 € kostet und ½ Liter Efes-Bier 1,5-2,5 €. Und jedes Abendessen wäre ein besonderes Festessen gewesen, wie wir das von unseren bisherigen Individualreisen in die Türkei gewohnt waren. M.a.W. die abendliche Büfett-Geschichte in dem Mammut-Hotel war eigentlich Beschiß für uns. Da war eine Woche gerade ausreichend, um die Sache kennenzulernen – mehr wäre für uns beide als Urlaubsessen unerträglich gewesen. Hinzu kommt noch, daß in der direkten Nähe des Hotels - etwa auf der anderen Seite der Schnellstraße -, d.h. wenn man keine übermäßigen Umstände auf sich nehmen will, keine echt türkische Restaurant-Alternative existiert. Man ist also im Prinzip auf das abendliche Hotel-Büfett angewiesen.
  • Die Südküste der Türkei wird immer mehr durchökonomisiert. Alles wird umgewälzt, umgegraben und modernisiert. Riesige Mammuthotels ohne Ende, neue moderne Kunstorte wie z.B. Afsalla werden aus dem Boden gestampft, mit Einkaufsstraßen gepflastert wie in Deutschland, das den besonders unternehmungslustigen deutschen Konsumenten, die sich mal aus ihrem Hotel herausgetrauen, wegen der adretten Sauberkeit und Modernität besonders gut gefällt. Der Straßenbau durchpflügt die Landschaft. Überall wird gebaut. Die Ebene zwischen Taurus-Gebirge und Meer ist sozusagen zum Abschuß freigegeben. Alles ländlich-idyllisch Schöne, kunstvoll-Alte, alles Ursprüngliche, Individuelle, Anmutige, alles Eigenständige, bis auf ein paar Moscheen, verschwindet nach und nach im Nichts, weicht Tankstellen und uniformierten, teils grotesk-häßlichen Betonstrukturen.
  • Zu dieser Durchökonomisierung der Küste paßt wie Arsch auf Eimer der Massentourismus, der einen Großteil dieser gigantischen Umwälzung finanziert. Aus dem schon weitgehend durchökonomisierten Deutschland kommen in rauen Mengen, herangeflogen in Großraum-Düsenflugzeugen und auf engstem Raum sardinenmäßig zusammengepackt, die menschlichen Ökonomie-Anhängsel in ihrer musterhaften Spießer-Kaputtheit, um nun dort in der sonnigen Türkei einen billigen Urlaub zu ergattern – und zwar wiederum in durchökonomisierten Touristenzentren, die eine Fortsetzung der europäischen Ökonomie („weiße Industrie ohne Schornsteine“) mit anderen Mittel bilden.