Rechts-Links

 

20,03,07 -

Rechts vs. Links in der Politik

 

Für sehr viele politisch aktive oder auch nur politisch interessierte erscheint der politische Gegensatz Rechts-Links so selbstverständlich wie es die Farben schwarz-weiß gibt oder die Geschmäcker süß und salzig.

Doch gibt es seit einiger Zeit gewisse Auflösungserscheinungen. Z.B. schon in der Gründungszeit der Grünen (um 1980) hieß es einmal: „Weder rechts noch links, sondern vorne!“ Und dieses Sprüchlein geistert immer mal wieder durch die politische Landschaft – auch Angela Merkel wurde es 2001 zugeschrieben.

Indessen ist das Sprüchlein in gewisser Hinsicht substanzlos und darum nichtssagend. Es ändert nichts substanziell an rigorosen Haltungen gegenüber ‚Andersdenkenden‘.

Warum ist das Sprüchlein substanzlos? Weil „vorne“ ja auch wieder eine Richtung ist, wie z.B. ‚fortschrittlich‘ oder ‚der Zukunft zugewandt‘. Der Begriff ‚vorne‘ erklärt nicht, wieso ‚rechts‘ und ‚links‘ nunmehr obsolet sind. Es ist ein Wischi-Waschi-Begriff, der von jeder ‚Richtung‘ aufgegriffen werden kann.

Das eigentliche Problem ist die Sache mit der ‚Richtung‘ selber. Sofern es mir tatsächlich um (politische oder was auch immer für) Argumente geht, gibt es im Prinzip erst einmal keine Richtungen mehr, sondern lediglich: richtig, falsch, wahrscheinlich, unwahrscheinlich.

Die politischen Richtungen kommen wo anders her, nämlich aus der Welt des Besitzes und seiner Verteilung. Typischerweise gehörte zu den ‚Rechten‘ der Kampf um Besitz-Privilegien und ihrer Bewahrung und bei den Ultra-Rechten ging es um die Ausweitung der Besitzprivilegien bspw. durch imperiale Eroberungen. Man denke etwa an die „Alldeutschen“ oder die Hitler’schen Eroberungen im Osten. Die radikalen Ultrarechten pflegten vor allem den Militarismus (und evtl. Imperialismus) mit diktatorischen Bestrebungen, wie sie sich in den diversen Faschismen und Militärdiktaturen kundtaten. Und ebenso typischerweise gehörte andererseits zu den ‚Linken‘ der Kampf um Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen (Trade-Unionismus) und bei den Ultralinken ging es um die völlige Beseitigung jener Privilegien der ‚oberen Klassen‘ („Eigentum ist Diebstahl“ und entsprechend: „Expropriation der Expropriateure“). Bei den radikalen Ultralinken stand die Revolutionsidee als höchstes Ziel auf jedweder Tagesordnung mit dem Zweck der Beseitigung der Klassenherrschaft überhaupt – und damit der Herstellung allgemeiner Besitz-Gleichheit. Zwischengeschaltet bis zum endgültigen Reich der Freiheit war jedoch erst einmal „die Diktatur des Proletariats“, um die Überreste der alten Klassengesellschaft zu beseitigen; zu gut deutsch: Auf Dauer gestellte Diktatur der ‘kommunistischen’ Partei mit privilegierten Parteikadern (vgl. Milovan Djilas: Die neue Klasse, 1957). Dies waren die Grundideen der ‚kommunistischen Bewegung‘.

Also, wie ersichtlich, die Begriffe Rechts-Links hatten ursprünglich ihre Verankerung in den Verteilungskämpfen um Besitz. Und in solcherlei interessegeleitetem Kampf um Privilegien und dem entgegengerichteten ‚Kampf der Arbeiterklasse‘ ist eben der argumentative Bereich interessegeleitet. In anderen Worten: da bleibt nur wenig Raum für Objektivität und Wahrheit, aber desto mehr Raum für ideologische Argumentation. Ideologische Argumentation verfolgt immer irgendwelche Interessen, die nicht koscher sind und deshalb möglichst kaschiert werden sollen.

 

Doch mittlerweile haben sich Rechts-Links-Extremismen als Chimären entpuppt: Der Kolonialismus hat ausgedient seit der Unabhängigkeit der allermeisten ehemaligen Kolonien, ebenfalls die Revolutionsidee seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in der Sowjetunion. – Und das scheint mir der eigentliche Grund zu sein, warum der Rechts- Links- Gegensatz in der Politik seine ‚postmoderne‘ Hohlheit offenbart, woraus die Suche nach neuen Orientierungs-Formeln resultiert, z.B. „Nicht rechts, nicht links sondern Mitte“. Aber auch ‚Mitte‘ ist ein Wischi-Waschi-Begriff – es sei denn, man meint die pragmatische Vernunft der ‚Mitte‘ des Volkes (d.h. ohne die extremistischen Ränder), sofern sie nicht medial manipuliert wird, und wirkliche Meinungs-Freiheit & -Vielfalt herrscht. Aber auch diese Vernunft der Mitte bedarf bei der freien Meinungsbildung objektiven, handfesten Sichtweisen. Und das kann in meinen Augen nur die haltbare politische Argumentation sein: die ist weder rechts noch links, sondern es geht um das objektiv Richtige, wobei auch die Frage: “Was ist das Sinnvolle?” zur Disposition objektiven Räsonnements steht. Die neue Formel müsste also meiner Ansicht nach lauten: „weder rechts noch links sondern objektiv“.

Ich möchte das anhand eines Zeitungsartikels (Gießener Anzeiger, 06.03.20, Seite 2) erläutern. Überschrift: Unwillkommenskultur. Untertitel: Wieder wollen Flüchtlinge nach Europa, hoffen auf Deutschland und die Kanzlerin / Doch das Land hat sich verändert. Von Kristina Dunz.

  • <…und Europa ist weiter Sehnsuchtsort für Menschen aus anderen Kulturkreisen – trotz zunehmendem Rassismus und Rechtsextremismus.>
  • Der letzten Behauptung („zunehmender Rassismus und Rechtsextremismus“) fehlt die effektive Substantiierung. Sie ist also weder haltbar noch unhaltbar, bestenfalls ‚links‘.
  • <Alles, nur kein zweites 2015, als fast eine Million Menschen nach Deutschland kamen, unter ihnen auch eine kleine Minderheit von Gewalttätern und Anpassungsunwilligen, die Offenheit und Vertrauen in die Integration der großen friedlichen Mehrheit der Flüchtlinge mitunter erschüttert haben.>
  • Das mit der kleinen  „Minderheit von Gewalttätern und Anpassungsunwilligen“ müsste schon noch genauer geklärt werden, zumal es mit Sicherheit auch die Ansicht gibt, dass es sich um eine große Minderheit handele – wenn nicht gar um eine Mehrheit, die lediglich die dt. Sozialsysteme ausnutzen will.
  • Das waren zwei Beispiele aus dem aktuellen politischen Diskurs, die sich offenbar noch im Rechts-Links-Schema bewegen. Denn bei der letzten Behauptung von der kleinen Minderheit, handelt sich ebenfalls wieder um eine Tendenzmeinung, die man heutzutage kritischerweise als ‚linksgerichtet‘ rubrizieren würde. Die politische Journalistin bemüht sich nicht, diese Behauptung zu substantiieren oder wenigstens – wenn eine solche Substantiierung schwierig erscheint -  das gegebene Spektrum der Ansichten darzulegen und möglichst wertfrei abzuwägen.

Man sieht also, wie das Richtungskorsett den politischen Diskurs einengt auf Einseitigkeit. Objektivität und Wahrheit sind unter solchen Voraussetzungen offenbar Fremdworte.