Gefühllosigkeit der Lebensräume

 

05. Juli 06

 

Gefühllosigkeit der Lebensräume (Landschaften, Städte, Dörfer)

 

Ich denke früher – noch in den 50er und 60er Jahren - gab es selbst in Deutschland eine Menge Landschaften, dörfliche und städtische Szenen, die irgendwie ‚Gefühl’ abstrahlten. Man denke beispielsweise an die Flüsse mit ihrem vielfältigen Reichtum an ästhetischen Differenzierungen – zusammen mit den Menschen, die sie genossen bzw. produzierten – und sich gegenseitig dabei anregten. Oder man denke beispielsweise an Burgen, Klöster, kleine Städte, die Ruhe, Sommerfrieden und Geschichte abstrahlten. Erst recht fand man solche Wirklichkeiten noch in anderen sozusagen ‚zurückgebliebenen’ Weltgegenden, wie in den 60er Jahren etwa Griechenland.

 

Die Gegenposition zu dieser Gefühlswelt – welch letztere vermutlich, je weiter man in die Geschichte zurückgeht, um so intensiver war – Höhepunkte in Europa vermutlich Wandervogel, Romantik, Klassik, Barock – ist die Sterilisierung der modernen Welt, die mit der Bauhausarchitektur, Betonarchitektur und dergl. in den 20er Jahren (ab 1919 zunehmend) ihren  gefühlsfeindlichen Anfang nahm. Diese Gegenposition schaffte nach und nach  brutal und rücksichtslos alles Erdenkliche ab, was nur irgend an eine andere Wirklichkeit erinnern könnte: Z.B. Flüsse wurden begradigt, Landschaften zersiedelt, Schnellstraßen ausgebaut, Wohnblocksiedlungen angelegt. Innenstädte wurden zu uniformen und anödenden Einkaufszentren. Von den in plumper und chaotischer Häßlichkeit sich ausweitenden Peripherien der Städte – und neuerlich der Dörfer -  kann man nur fassungslos schweigen. Dieser Prozeß spielt sich weltweit ab. Man denke z.B. auch an die Sinfonien in Beton, die durch den Tourismus oder den Sport in den schönsten Weltgegenden aufgeführt – oder besser: exekutiert -  werden. Irgendwie handelt es sich dabei um ein gigantisches, weltweites, einmaliges ‚Experiment’.

 

Interessant ist auch die Frage, was aus den Menschen wird, die in solchen eigenartigen Zuständen leben und heranwachsen. Z.B. nehmen die Allergien zu. Es gibt ja die weitgehend ignorierte Theorie, daß diese mit den sterilen Zuständen zusammenhängen. Da wird ständig geputzt, gewaschen und gesäubert. Da muß alles clean und neu sein. Da wird sich jeden Tag geduscht und frisch angezogen. Das Ganze begleitet von einem stetigen Strom von Chemikalien.

 

Was passiert mit dem natürlichen Bedürfnis der (noch halbwegs gesunden) Menschen nach allgemein-gesellschaftlicher Gefühlsproduktion? Da dieses sich in der modernen Arbeits- und Wohnrealität nur äußerst ungenügend entfalten kann, wird es teilweise offenbar in irgendwelchen Massenspektakeln ‚abgeführt’. Beispiele sind ‚Loveparade’, gigantische Konzertveranstaltungen populärer Musiker, Fußball, (erst  recht mit nationalistischem Höhepunkt Weltmeisterschaft), sog. ‘Stadtfeste’ etc. Außerdem versucht man ein sozusagen ‚bodenständiges’ Vereinsleben (auch Kirchenleben) auszuüben, beispielsweise Karnevalsvereine, Gesangsvereine, Sportvereine, Freiwillige Feuerwehr usw., damit das Bedürfnis nach allgemeiner gesellschaftlicher Gemeinschaft wenigstens in einigen Bereichen rudimentär noch befriedigt wird. – Aber von den obigen Gefühlslandschaften früherer Zeiten ist augenscheinlich nicht mehr allzuviel da – und es kommt auch gar zu selten noch was Neues hinzu (wie beispielsweise Taunustherme Bad Homburg, Fantasialand, Imaxx-Kinos u.dergl.). Was also sind das für Menschen, die sich in jenen modernen, ferngesteuerten, sterilen Kunstwelten heranbilden?

 

Ich denke, die Antwort findet ihre Ergänzung darin, daß in den ‚Metropolen’ (USA, Kanada, England, Frankreich, Benelux, Schweiz, Italien, Deutschland, Österreich, Spanien, Nordeuropa) viele Ausländer aus Dritte Welt Ländern angesiedelt werden. Das sind dann ‚Kanaken’, die für die geistige Kultur in der Regel so viel wie gar nix übrig haben, wie sie sich in Europa in vielen Jahrhunderten herausgearbeitet hat. Der Zweck der Übung (vermutlich von irgendwelchen multinationalen Chefsessel-Spießern ausgeknobelt und von vielerlei Professoren und Politikern weiter detailliert umgesetzt) scheint eben - neben positiven wirtschaftlichen Effekten -  hauptsächlich der zu sein, die heiße Masse der überschäumenden Intellektualität, wie sie sich in der Studentenbewegung der 60er Jahre, der Alternativ- Rockmusik- und Ökologiebewegung der 70er Jahre kundgetan hat, abzukühlen und zu neutralisieren. - Egal ob nun explizit ausgeknobelt oder ob es sich per System sozusagen systemstimmig eingependelt ergibt, der wichtige Effekt ist offenbar jedenfalls der Folgende: es bildet sich eine unkritische, unintellektuelle geistferne Masse heran, deren ideales Lebensziel sich im Zirkel von Sex (mit Happy End in der ‚Traum-Hochzeit ganz in Weiß’ ), modischer Kleidung, Sport, Kinos, Discos, Autos, Geld, Reisen in ‚Traumhotels’ (z.B. an ‚Traumstrände der Karabik’), Massenveranstaltungen, die einem den ‚Kick’ geben sollen, und last not least: Karriere im neoliberal abgegrenzten Feld, bewegt. M.a.W.: die Menschen werden zu Ökonomiekaspern ohne wirklich eigenständige Individualität. – Diejenigen, die jenes Ideal-Ziel nicht erreichen (z.B. wegen unterbemittelter sozialer Voraussetzungen oder psychischer Schäden, oder weil sie sich in all dem Zirkus nicht selbst wieder-finden können bzw. sich heillos darin in Widersprüche verstricken) haben Pech gehabt und werden entweder sich selbst oder den reichlich vorhandenen diesbezüglich dafür zuständigen Institutionen überlassen (z.B. Gefängnissen, Drogenberatungen, Psycho-Therapien, Psychiatrien, medizinischen Versorgungen, religiösen Kulten, die Ordnung im Chaos verschaffen sollen, etc. pp.).

 

Wenn man sich diese letzte Liste in der Klammer anschaut, sollte dies eigentlich zu denken geben, wohin die „Gefühllosigkeit der Landschaften“  für viele einzelne Menschen bisher geführt hat und erst recht weiterhin führt. So ist meine bisher dargelegte These! Denn ich gehe davon aus, daß in gefühlvollen Landschaften die Menschen authentisch sein können, falls ihnen nicht irgendwelche autoritären Regimes dazwischenfunken. Die Frage ist als nächstes, wohin diese grundsätzliche Aushebelung gesellschaftlich global und insgesamt führt.

 

Die erste Stufe des modernen Globalsystems ist also der systematische Abbau der ‚Landschaftsgefühle’. Die zweite Stufe ist die Herstellung einer strukturell manipulierbaren Menschen-Masse und damit einhergehend der sozialen Kastration der europäischen gesellschaftskritischen Identität.

 

Somit ist die obige Frage, wohin diese Logik insgesamt gesellschaftlich führt, zumindest teilweise (es gibt sicherlich noch viele andere, komplexere, Aspekte) leicht zu beantworten. Eine Gesellschaft die wesentlich von einem enorm starken Geist der Technik durchdrungen ist, bedarf  unbedingt als Korrektur eines ebenso enorm starken Geistes gesellschaftswissenschaftlicher Kritik und kritischer gesellschaftswissenschaftlicher Praxis. Dies drückt sich nicht nur z.B. in den Problemen militärischer Strategie und Technik aus (beispielsweise Militäreinsätze vs. Friedensforschung) sondern auch z.B. in Technikfolgenabschätzungen von industriellen Konfigurationen (Beispiel: Atomkraftwerke) oder Ökologieproblemen. Wenn jetzt in den Metropolen die (wenigstens ansatzweise) gesellschaftskritische Masse, die sich in den 70er Jahren herangebildet hat, nach und nach ausfällt, so stehen wir in der Folge beispielsweise kritiklos, sprachlos und entsprechend hilflos vor den auf uns zukommenden Problemen. – Das erinnert einen fatal an das „Dritte Reich“: Kritik wird ausgeschaltet, die Technik feiert höchste Triumphe. Die Katastrophe der zunehmenden (ökologischen und/oder sozialen) Verwahrlosung ist für jeden, der noch denken kann absehbar, aber die Herrschenden wollen und können das ignorieren und fahren die Gesellschaft nach und nach an die Wand (wozu sie sich kurioserweise vollauf  berechtigt fühlen).